



Gruppenbild von links nach rechts und hinten nach vorne: Stefanie Burkhardt, Laura Bautz, Tabea Knoll, Katharina Dönch, Zeynep Gulcino, Meis, Alkhafaji, Rebecca Weidinger, Baraa Alhasani, Daniel Thiel, Ahmed Arfaoni, Kutaiba Kaidonha, Dr. Christoph Lange, Veronika Schlee.
"Big Islam, Little Space." - unser erster interreligiöser Dialog
Eine Religion mit so großen Dimensionen und im Vergleich so wenig Platz im Weblog. – Das meinte einer unserer muslimischen Gäste wohl mit dieser Bemerkung und lieferte damit so etwas wie die Vorlage für unser interreligiöses Gespräch und womöglich für den Dialog mit nicht-christlichen Religionen überhaupt. Aber fangen wir von vorne an.
Erlangen, der 13.02.2020. Wir, die Teilnehmenden des Seminars „Das Christentum aus Sicht der Anderen/Interreligiöse Kommunikation“, treffen uns mit sieben am interreligiösem Dialog Interessierten, die sich zu dieser Abendrunde eingefunden haben. Unsere Gäste sind entweder selbst muslimisch und/oder sind im Bildungssektor tätig. Dem Treffen ging eine lange Vorbereitungsphase voraus. Im Wintersemester zuvor haben wir uns neben der Entwicklung dieses Blogs vermehrt mit nicht-christlichen Religionen und deren Beziehungen zueinander auseinandergesetzt. Diese eher theoretischen Vorkenntnisse wollen wir nun im Dialog mit und über MuslimInnen erproben. Unser erklärtes Ziel: Herausfinden, wie es sich anfühlt, im Gespräch über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen, nachfragen, uns Inspiration holen und, vielleicht auch, Spannungen aushalten. Ganz besonders interessiert uns, wie es gelingen kann, über den Islam zu schreiben, ohne ungewollt verletzend zu sein.
„Es ist manchmal für mich als Muslimin unangenehm, Nachrichten zu gucken.“ So die für uns zunächst überraschende Äußerung einer Teilnehmerin innerhalb des ersten Themenblocks, der sich auf die Darstellung des Islams in der Öffentlichkeit und den Medien bezieht. Da wir selbst bald über Religionen schreiben und berichten wollen, ist dieser Teil besonders spannend und wichtig für uns. Aber woran liegt es, dass MuslimInnen sich unwohl fühlen beim Ansehen der Nachrichten?
Wir lernen, dass Angehörige des Islams immer wieder den Eindruck haben, über ihre Religion werde nicht ausgewogen und korrekt in der Öffentlichkeit berichtet. Oft würden Formulierungen gewählt, die eine gedankliche Verknüpfung des Islams mit Gewalt, Aggressivität, Terrorismus und Extremismus zuließen oder gar förderten. Als Beispiele der letzten Jahre werden in der Diskussion Medienberichte über die Terrormiliz IS und vor allem 9/11 genannt, in denen Terrorismus und Islam häufig in einem Atemzug genannt und sogar gleichgesetzt wurden.
Im Gespräch kristallisieren sich zwei typische Arten der Berichterstattung über MuslimInnen in den Medien, aber auch in der Öffentlichkeit heraus: Zum einen die Darstellung des „Prototyp-Muslim“, welcher sich vor allem durch seine nicht-westliche Denkweise, seinen Hang zu Gewalt und Aggressivität, seinen Migrationshintergrund oder sein Festhalten an patriarchalen Strukturen auszeichnet. In unserer Diskussion fällt bei diesem Thema das Stichwort „Homogenisierung“ des Islams, also ein undifferenziertes und verallgemeinerndes „Über-einen-Kamm-Scheren“ von etwa 1,6 Milliarden MuslimInnen weltweit.
Zum anderen wird die Tendenz benannt, einzelne MuslimInnen, wie beispielsweise SportlerInnen, als überaus positiv, liberal und aufgeklärt darzustellen. Was zunächst konstruktiv und wertschätzend wirke, habe durchaus eine problematische Seite, würden doch die restlichen MuslimInnen hierbei zwischen den Zeilen mit Unaufgeklärtheit und festgefahrenen patriarchalen Strukturen assoziiert. Dies befördere nur noch weiterhin insgesamt antimuslimischen Rassismus.[1] Unsere Gäste erweisen sich als sehr sensibel für derartige Tendenzen. – Auch wenn sie nach eigener Aussage in persönlichem Kontakt noch nicht so oft mit antimuslimischem Rassismus in Berührung gekommen sind.
Gibt es ein Thema, das unsere muslimischen Gäste nicht mehr hören können? Auf diese Frage gibt es eine klare Antwort: die Kopftuchdebatte. Bei medialen Dauerbrennern wie diesem können nicht nur unsere GesprächspartnerInnen, sondern auch wir uns des Eindrucks nicht erwehren, dass vor allem populäre Medien aus bloßer Entrüstung und zum Zweck, LeserInnen zu generieren, ein eigentliches Nischenthema des Islams aufgreifen und ausbreiten.
Doch wie können wir, die DiversiFaith-Redaktion, es in unseren Artikeln für den Blog anders machen? Eine berechtigte Frage angesichts der Tatsache, dass ich gerade jetzt diesen Artikel hier schreibe. „Big Islam, Little Space“ – die Herausforderung, dem großen Islam in einem kleinen Artikel auch nur annähernd gerecht zu werden, spüre ich am eigenen Leib.
Dies scheint eine Spannung zu sein, der wir uns immer wieder neu zu stellen haben: den Islam nicht als homogenes Ganzes zu sehen, sondern sich der Vielfalt von Strömungen in dieser Weltreligion bewusst zu sein. Denn genau wie es nicht „das“ Christentum gibt, gibt es auch nicht „den“ Islam.
Das sensible Reden über den Islam fängt schon bei der Begrifflichkeit an. MuslimInnen schmerze es, wenn Islam mit Islamismus – also dem politischen Islam – verwechselt wird.[2] So die Erfahrung unserer Gäste. Nicht nur, um solche Ungenauigkeiten zu vermeiden, wäre es – so der einhellige Konsens in der Diskussionsrunde – wünschenswert, wenn mehr MuslimInnen im Journalismus richtig und mit ihrer persönlichen Erfahrung ihres Glaubens über den Islam berichten könnten. Auch auf unserem Blog soll muslimischem Journalismus Platz geboten werden. Wenn also Du Dich gerade angesprochen fühlst und dich ein Thema brennend beschäftigt, dann schau doch auf unserer „Mitmachen“-Seite vorbei![3]
Besonders spannend empfinde ich an diesem Abend die Diskussion um das Stichwort Identität. Viele MuslimInnen in Deutschland seien nämlich Menschen mit einer Mischidentität. Einerseits sei da ihre kulturelle Identität, welche an sich schon divers sein kann (z.B. arabisch-deutsch), andererseits die religiöse Identität als MuslimIn. Diese innere Spannung bewege sich nicht nur innerhalb der Ländergrenzen Deutschlands, sondern weit darüber hinaus. Solche Divergenzen beträfen nämlich gerade Menschen, die sich ganz als Deutsche wahrnehmen, sich aber auch mit einer anderen Kultur identifizieren könnten. Es gehe um BürgerInnen, die voll integriert in die deutsche Gesellschaft sind und zum größten Teil in Deutschland aufgewachsen sind, von außen aber nicht immer als integriert angesehen werden. Diese Spannung zwischen eigener und Fremdwahrnehmung spüren MuslimInnen zum Beispiel schmerzhaft, wenn von ihnen als „sie“ die Rede ist, anstatt als Teil vom „Wir“ angenommen zu werden.[4]
Letztendlich ziehen wir einstimmig das Fazit, dass Integration nie eine Einbahnstraße sei und dass sich jeder Mensch, egal welcher Religion und welcher Kultur, in die Gesellschaft integrieren sollte. Egal, welche Wurzeln ein Mensch hat, er ist ein Teil der Gesellschaft und sollte wie jeder andere auch angenommen werden und selbst seine Mitmenschen akzeptieren. Nur so kann eine tolerante Gesellschaft mit einem respektvollen und würdevollen Klima hergestellt werden, in der BürgerInnen weder sich selbst noch andere BürgerInnen in eine Schublade stecken. Das hört sich vielleicht sehr idealistisch an, jedoch bin ich davon überzeugt, dass jeder, besonders in Hinsicht auf die eigene Identität, davon profitiert. Das Ziel dieser ständigen Integration aller ist somit ein integriertes „Wir“ auf Augenhöhe.
Ein Weg, neben zahlreichen anderen, könnte die deutschlandweite Einführung von islamischem Religionsunterricht sein, wie er schon an einigen Schulen in Deutschland angeboten wird. Die SchülerInnen können dort auf deutsch und an einem neutralen Ort über den Islam unterrichtet werden. Ähnliche Arbeit leisten Bildungswerke wie das Muslimische Bildungswerk Erlangen, indem sie Veranstaltungen zu verschiedenen Themen für unterschiedliche Altersgruppen zur Weiterbildung anbieten.[5]
Wir Studierende sehen diesen Abend als eine Ermutigung, weiterhin den Dialog zu suchen und bei den Blogeinträgen neben wissenschaftlicher Genauigkeit immer auch Mitglieder der Religion zu befragen, damit auch wir reflektieren und mit unserem Projekt sowie den damit verbundenen Herausforderungen wachsen können.
[1]Was ist das? Hier findest Du weitere Informationen: https://www.bpb.de/politik/extremismus/radikalisierungspraevention/302514/was-ist-antimuslimischer-rassismus
[2]Bist Du Dir nun selbst unsicher? Hier kannst Du diesen Begriff nochmal nachschlagen: https://glossar.neuemedienmacher.de/glossar/filter:a/
[3]Hier kannst Du mit uns in Kontakt treten: http://www.diversifaith.com/mitmachen/
[4]Dein Interesse ist geweckt? Hier eine Literaturempfehlung passend zum Thema: Navid Kermanis Buch „Wer ist wir?“, siehe auch https://www.navidkermani.de/wer-ist-wir/
[5]Neugierig geworden? Schau doch mal vorbei! https://mberlangen.de/