



Der Ramadan – Fasten für mehr Nächsten- und Gottesliebe
Vom 24.04. bis zum 23.05.2020 war dieses Jahr Ramadan, der Fastenmonat im Islam.[1] Fasten als ein religionsübergreifendes Phänomen ist beispielsweise auch im Christentum, im Buddhismus, im Judentum oder im Hinduismus zu finden. Dabei wird nicht nur aus rein gesundheitlichen Gründen gefastet.[2] Auch beim Ramadan geht es um mehr: Ein größeres Verbundenheitsgefühl mit der islamischen Welt und nicht zuletzt mit Allah selbst.[3] Im Folgenden soll der Frage nach den religiös-theologischen Gründen für das Fasten, speziell im Ramadan, auf den Grund gegangen werden.
Doch bevor ich ganz auf diese Frage eingehen kann, will ich kurz klären, auf was beim Ramadan verzichtet wird. Denn das ist eine wichtige Grundlage, für die Frage nach den Begründungen für das Ramadan-Fasten.[4]
Das Wort Sijam, also Fasten im Allgemeinen, bedeutet wörtlich „von etwas Abstand nehmen“ „eine Handlung nicht mehr tun“ oder „mit etwas aufhören“.[5] Islamrechtlich heißt das, dass der Fastende Abstand nimmt von allen Dingen, die ein Fasten brechen.[6] Das gilt auch speziell für den Ramadan. In diesen 29 oder 30 Tagen soll vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang auf Essen, Trinken, Rauchen, Sexualität und auf Medikamente verzichtet werden.[7] Als Fastenbruch gilt neben dem Beginn der Menstruation, allgemein „wenn etwas durch eine dauernd offene Körperöffnung eindringt“[8], oder das Eintreten von Verrücktheit oder Abfall vom Glauben.[9] Das ist der niedrigste Grad des Fastens. Zusätzlich wird empfohlen den Koran in dieser Zeit wenigstens einmal zu lesen, in Gedanken und mit Worten Achtsamkeit zu üben, die Tarawih-Gebete vor Tagesbeginn zu beten und insgesamt ein umgänglicherer Mensch zu sein.[10]
Im Ramadan wird also verzichtet, um sich ganz auf Allah konzentrieren zu können. Doch welche theologischen Hintergründe hat der Ramadan?
Zuerst einmal wird gefastet, weil Allahs Gebot damit befolgt wird. Doch hinter dieser Begründung steckt mehr als nur bloßes Pflichtbewusstsein.
Einen schöpfungstheologischen Ansatz verfolgt die Annahme, dass Allah den Menschen ihre geistigen und physischen Bedürfnisse, sowie die Freiheit sie aus eigener Kraft zu befriedigen, gegeben hat. Im Fasten wird Allah im vollkommenen Gehorsam als gnädiger Erhalter anerkannt. Wenn Allah nun gebietet diese gottgegebenen Fähigkeiten und Bedürfnisse einzustellen, wird dem im Ramadan in Anerkennung seiner Gnade Folge geleistet. So steht es auch im Koran Sure 2:183: „Ihr Gläubigen! Euch ist vorgeschrieben, zu fasten, so wie es auch denjenigen, die vor euch lebten, vorgeschrieben worden ist. Vielleicht werdet ihr gottesfürchtig sein.“[11]
Eine weitere mögliche Begründung liegt in der Dualität von Animalischem und Engelhaftem im Menschen, die beispielsweise bei dem Gelehrten und Mystiker Waliullah ad Dihlawi zu finden ist. Das Animalische, das mit niederen Bedürfnissen wie Essen, Trinken und Sexualität in Verbindung gebracht wird, muss vom Engelhaften unterworfen werden. [12]
Neben mehr Selbstbeherrschung und Disziplin führt der Verzicht auf Essen und Trinken zu einem besseren Verständnis für diejenigen, die aus Armut oder einer Notlage heraus täglich an Hunger leiden. Dies führe zu mehr Empathie und Mitleid.[13] Insgesamt ist es daher während des Ramadans üblich, die Almosen-Spende Zakat abzuleisten. Das Geld kommt dann Bedürftigen zugute, beispielsweise in Form von Armenspeisungen.[14] Auch in den Hadithen[15] sind immer wieder verknüpfende Aussagen über den Ramadan und die Almosen zu finden: „Die Mühen des Fastens finden nicht eher vor Gottes Augen Anerkennung, bis die Almosen verteilt worden sind.“[16] Früher sollte das, was durch das Fasten an Nahrung eingespart wurde, an die Armen verteilt werden. Heutzutage erfährt der Ramadan eine wachsende Kommerzialisierung, daher wird für das Fastenbrechen viel Geld ausgegeben. Dieser Luxus wird auch den Bedürftigen geboten.[17]
Der prominenteste Grund in der Literatur ist jedoch der alleinige Gehorsam gegenüber Allah sowie ein Fasten nicht um seiner selbst willen, sondern vor Gott, da der Glaubende allein vor Gott steht. Es ist eine Handlung in Dankbarkeit gegenüber Gott und ist verknüpft mit der Vorstellung von Sündenvergebung und dem Wohlgefallen Allahs.[18]
Doch wie bei vielen Traditionen und Themen im Islam gibt es nicht den Ramadan schlechthin, sondern ein Spektrum, beispielsweise innerhalb der vier Rechtsschulen oder in der Frömmigkeit vor Ort. Fasst man zusammen, gibt es in der Intention – trotz unterschiedlicher Akzente – Übereinstimmungen: Neben einem gestärkten Körperbewusstsein und mehr Empathie für Mitmenschen, zielt der Ramadan mit seinen spirituell anspruchsvollen Achtsamkeitsübungen nicht nur auf den Menschen, sondern auf eine intensive Beziehung zu Allah ab. Letztendlich unterscheidet dies das Fasten vom Hungern, also dem bloßen Nahrungsentzug.[19] Passend dazu erzählt mir eine Muslima im Dialog über ihre Erfahrungen im Ramadan: „Der Monat Ramadan steckt voller Segen und Barmherzigkeit. Das Fasten in diesem Monat bedeutet für mich Einkehr nach Innen, Spiritualität – aber vor allem spüre ich in dieser Zeit die Liebe zu meinem Schöpfer. Für mich ist das Fasten viel mehr als eine Pflicht: Mir werden all die vermeintlich „selbstverständlichen“ Dinge des Alltags wie Essen und Wasser bewusst, die mir mein Herr täglich gibt und zu denen viele Menschen keinen Zugang haben.“[20]
[1]Vgl. Quantara-Redaktion: Islamischer Fastenmonat Ramadan beginnt am 23. April 2020, verfasst am 10.03.2020: https://de.qantara.de/content/islamischer-fastenmonat-ramadan-beginnt-am-23-april-2020, aufgerufen am: 14.04.2020.
[2] Vgl. Hamidullah, M.: Warum fasten? Eine Studie über das Fasten im Islam vom geistlichen und weltlichen Standpunkt aus gesehen, Genf 1963, S.3-4. und vgl. Jaros, K.: Der Islam. Historische Grundlagen und Glaubenslehre, Wien/Köln/Weimar 2012, S.95.
[3]Vgl. Islamisches Zentrum München: Das Fasten, in: Schriftenreihe des Islamischen Zentrums München Nr. 5, München 1987, S.2-3.
[4]Versuche Dich an unserem Quiz, um mehr zum Thema Ramadan zu erfahren! Die Lösung erscheint am 04.06.2020.
[5]Reidegeld, A.: Handbuch Islam. Die Glaubens- und Rechtslehre der Muslime, Ulm 2008, S.549.
[6]Vgl. ebd., S.549.
[7]Vgl. Islamisches Zentrum München: Das Fasten, S.6f.
[8]Reidegeld A.: Handbuch Islam, S.571.
[9]Vgl. ebd., S.571f.
[10]Vgl. Hamidullah M.: Warum fasten?, S.11/15. und vgl. Islamisches Zentrum München: Das Fasten, S.9-11.
[11]Vgl. Islamisches Zentrum München: Das Fasten, S.2. und Koran-Übersetzung von Rudi Paret, 1966, online unter: https://corpuscoranicum.de/index/index/sure/2/vers/183, zuletzt aufgerufen am 21.05.2020.
[12]Vgl. Hamidullah M.: Warum Fasten?, S.10-11.
[13]Vgl. Islamisches Zentrum München: Das Fasten, S.2-3. und vgl. Hamidullah M.: Warum Fasten?, S.12/16.
[14] Vgl. Becker-Rauh C./Grünert A.: Ramadan, München 2001, S.96f. und vgl. Hamidullah M.: Warum Fasten?, S.16. und vgl. Islamisches Zentrum München: Das Fasten, S.10-11.
[15]Was ist das? Hier findest du eine Definition: https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/islam-lexikon/21426/hadith
[16] Ad-Dailami A.: Musnad al-Firdawsi, Bd. 2, Kairo 1987, Hadith Nr.3569. und Becker-Rauh C./Grünert A.: Ramadan, S.93.
[17] Vgl. ebd., S.96.
[18] Vgl. ebd., S.13. und vgl. Hamidullah M.: Warum Fasten?, S.8-10. und vgl. Islamisches Zentrum München: Das Fasten, S.2.
[19] vgl. Hamidullah M.: Warum Fasten?, S.11. und vgl. Islamisches Zentrum München: Das Fasten, S.2-3.
[20]Gülcino Z.: persönliche Korrespondenz, Erlangen, 29.03.2020. Dieser Artikel wurde gegengelesen und abgesegnet von der muslimischen Studierenden Zohal Fakhri.
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