



Leiden macht dialogfähig?
In Frankreich auf dem Altar der Klause von Thich Nhat Hanh, einem vietnamesischen Vertreter des Engagierten Buddhismus, stehen Bildnisse von Buddha wie auch von Jesus. Er nehme zu beiden als seinen spirituellen Ahnen Kontakt auf.[1] Thich Nhat Hanh weist eine Möglichkeit auf, wie BuddhistInnen mit der zentralen Figur des Christentums, Jesus Christus, umgehen können. Buddhismus und Christentum hätten, so der Mönch, zwar verschiedene Wurzeln, Betrachtungsweisen und Traditionen, doch auch einen gemeinsamen Kern: das Ziel der Überwindung des Leidens in der Welt. Dies macht er vor allem an Leben und Lehren der Religionsstifter, Siddharta Gautama (Buddha) und Jesus, fest.
Die Ähnlichkeiten der beiden Religionsstifter zeigen sich schon in den Erzählungen ihrer Geburt. Kurz nach Jesu Geburt wurde dieser in den Tempel zur Beschneidung gebracht. Dort erkannte der alte Simeon, dass Jesus der Messias sei (Lukas 2, 22-35). Thich Nhat Hanh schließt daraus, dass Simeon wusste, dass Jesus die Gesellschaft tiefgreifend verändern würde. Ähnliches geschah auch zu Gautamas Geburt. Ein Weiser aus Arista weinte, da er wusste, dass Buddha ein bedeutender Weltenlehrer sei und er ihn nicht mehr erleben würde.
Thich Nhat Hanh ist überzeugt, dass in jedem von uns ein kleiner Buddha bzw. Christus steckt. Im Buddhismus sei die Rede vom „Samen der Achtsamkeit“, den jeder Mensch in sich trage. Aufgrund dieses Samens stecke in jedem/jeder auch das Potential zu erwachen. Im Christentum würde das Gleichnis vom Königreich Gottes, das einem Senfkörnlein entspreche (Lukas 13, 18-19), auf einen solchen Samen im Menschen verweisen. Dieser müsse in der täglichen Praxis gepflegt werden, damit er wachsen könne. Unser Körper sei die Fortsetzung des Körpers des Buddhas und ein Glied des mystischen Leibes Christi. Damit biete sich uns eine großartige Möglichkeit, um das Leben Buddhas und Jesu in uns und unserem Handeln zu manifestieren und damit beide weiterhin zu vergegenwärtigen.
Der buddhistische Mönch Thich Nhat Hanh sieht in beiden, Jesus und Buddha, einen Weg heraus aus dem Leid. Denn beide hätten versucht das Leiden ihrer Gesellschaft zu überwinden. Diese Ansicht Thich Nhat Hanhs liegt zum Teil in der buddhistischen Philosophie und Kernlehre begründet. Demnach ist das Dasein grundlegend durch Leid geprägt. Generell ist das Ziel aller indischer Philosophien und Religionen die Überwindung dieses Leids.[2] Allerdings weist Thich Nhat Hanh zufolge auch Jesus einen Weg zu diesem Ziel.
Doch das buddhistische Leidensverständnis unterscheidet sich von dem des Christentums. Im Buddhismus gilt in erster Linie der Kreislauf der Wiedergeburten als Leid. Dieser Kreislauf soll zu einem Ende kommen, sodass auch das Leiden vollständig sein Ende nimmt.[3] Der Mensch könne und müsse durch Befolgen des „Achtfachen Pfades“ das leidvolle Leben mit Hilfe seiner Fähigkeiten und Möglichkeiten überwinden.[4] Auch ChristInnen sind aufgefordert, alles in ihrer Kraft stehende zu tun, um Leid zu lindern. Jedoch kann und muss einE ChristIn das nie vollkommen aus eigener Kraft schaffen. Er/Sie darf auf die Erlösung hoffen, welche er/sie allein durch den Glauben erlangt.
Trotz der Diskrepanzen im Leidensverständnis liefert Thich Nhat Hanh meiner Ansicht nach einen dialogfähigen Ansatz, indem er die Überwindung des Leidens als gemeinsames Ziel von Buddha und Jesus und damit auch als Ziel von BuddhistInnen und ChristInnen identifiziert. Somit ermöglicht er ein gemeinsames Engagement von ChristInnen und BuddhistInnen, um für die Überwindung des Leidens dieser Welt zusammen zu arbeiten.
[1] Vgl. Thich Nhat Hanh: Buddha und Christus heute. Verbindende Elemente von Buddhismus und Christentum, München 1999, S. 30.
Alle Paraphrasen und Zitate Thich Nhat Hanhs beziehen sich auf die Seiten 30-79 aus dem angegeben Werk.
[2] Vgl. Ram Adhar Mall: Indische Philosophie – Vom Denkweg zum Lebensweg. Eine interkulturelle Perspektive, Freiburg/München 2012, S. 32, 99f.
[3] Helwig Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus, München 2007, S. 11ff.
[4] Vgl. Ram Adhar Mall: Indische Philosophie, S. 51, 100.