Mensch und Gott? – Jesus von Nazareth aus christlicher Sicht

Jesus von Nazareth ist für Christ*innen eine zentrale Person ihres Glaubens. Sie nennen ihn Jesus Christus und sind als „Christ*innen“ sogar nach ihm benannt. Auch in Judentum und Islam ist Jesus eine bekannte Figur. Der größte Unterschied zu den jüdischen und islamischen Traditionen ist, dass Jesus im Christentum Gott ist, nicht nur Mensch. Dieser Punkt ist im interreligiösen Dialog so brisant, weil es konkret das Gottesverständnis der jeweiligen Religion betrifft, was ein sehr sensibler Punkt ist. Dabei ist es auch für Christ*innen schwierig, Jesu Göttlichkeit, die Dreifaltigkeit Gottes und die Bedeutung des Todes Jesu zu verstehen – und es ist auch für Christ*innen nicht einfach, sich darüber auszutauschen und sich – selbst innerchristlich – auf ein gemeinsames Verständnis zu einigen. Doch zurück zur interreligiösen Sicht: Trotz des wichtigen Unterschiedes gibt es auch Gemeinsamkeiten. Deshalb lieber genau hinsehen: Wieso ist Jesus für den christlichen Glauben so wichtig und was steht über ihn in der christlichen Bibel?

Jesus ist in den christlichen Traditionen und Konfessionen so wichtig, weil er selbst Gott ist und damit eine der drei „Gestalten“ der Trinität. „Trinität“ ist ein christliches Konzept, das besagt, dass sich der eine Gott in dreifacher Gestalt zeigt: als Vater, als Sohn (Jesus) und als Heiliger Geist.[1] In der christlichen Bibel begegnet das Wort „Trinität“ nicht. Aber es gibt Verse, in denen Vater, Sohn und Heiliger Geist zusammen genannt sind und es gibt Verse, in denen gesagt wird, dass Geist und Sohn auch Gott sind (vgl. Teaser).[2] Ein Beispiel:

Johannesevangelium 20,28: Thomas antwortete und sprach zu ihm [zu dem auferstandenen Jesus]: Mein Herr und mein Gott![3]

Um solche Verse zu verstehen, entstand das Konzept der Trinität: Alle drei „Gestalten“ der Trinität sind ganz Gott. Der Vater ist ganz Gott, der Sohn ist ganz Gott und der Heilige Geist ist ganz Gott. Gott ist also weder „gedrittelt“, noch gibt es im Christentum drei Götter, sondern nur einen. Auch das Christentum versteht sich als rein monotheistische Religion.[4]

Für den interreligiösen Dialog finde ich es von christlicher Seite aus wichtig, zu wissen, wie weit die jüdischen und die islamischen Strömungen mit der christlichen Darstellung des Lebens Jesu übereinstimmen und wo die Unterschiede liegen. Die Gemeinsamkeiten, die sich besonders bei der Darstellung des Lebens Jesu finden, können eine gemeinschaftliche Basis für den interreligiösen Dialog sein. Einige davon sollen hier aufgezeigt werden:

In dem „apostolischen Glaubensbekenntnis“ der Christ*innen stehen die wichtigsten Stationen des Lebens Jesu in einem Satz zusammengefasst. Dort heißt es über Jesus unter anderem:

[…] geboren von der Jungfrau Maria, gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes, am Dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; […][5]

Ich beginne bei der Empfängnis: Im Lukasevangelium wird sie ausführlich geschildert. Das Lukasevangelium ist eines der vier Evangelien, die alle im Neuen Testament, also im hinteren Teil der christlichen Bibel, stehen. Weil die Bezeichnungen „Altes“ und „Neues“ Testament im Sinne von „veraltet“ und „aktuell“ missverstanden werden können, kann man stattdessen von „Erstem“ und „Zweitem“ Testament sprechen. Zurück zur Erzählung des Lukasevangeliums. Dort steht im ersten Kapitel, Verse 28–38 folgendes:

28 Und der Engel kam zu ihr [Maria] hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! 29 Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? 30 Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. 31 Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. 32 Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; […] 34 Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? 35 Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden.[6]

Wenn man die lukanische Geburtsgeschichte mit der Schilderung der Geburt Jesu, wie man sie im Koran findet, vergleicht, sieht man, dass es viele Gemeinsamkeiten gibt, aber auch wichtige Unterschiede. Eine Gemeinsamkeit ist die Geburt durch die Jungfrau Maria. Sowohl in den christlichen, als auch in den islamischen Texten wird ihr die Geburt ihres Sohnes durch einen Engel angekündigt (siehe auch den Artikel des nächsten Monats, der sich mit der islamischen Sicht auf Jesus befasst).

Wie Jesus weiter aufwächst und was er als erwachsener Mann tut, wird im christlichen Glaubensbekenntnis nicht weiter ausgeführt. Der Koran, die christliche Bibel und auch manche jüdischen Strömungen stimmen aber darin überein, dass Jesus als Erwachsener die Botschaft Gottes verkündet und oft wird er auch als Wundertäter gesehen. Das ganze Neue Testament handelt davon, dass Jesus Gott und den Anbruch von dessen Herrschaft verkündet.[7] Dabei sind viele Christ*innen der Meinung, Jesus habe den jüdischen Gott verkündet und sehen in ihm den im Tanach, der heiligen Schrift des Judentums, angekündigten Messias.[8]

Bei Jesu Tod kommt es in den Schriften des Islams und des Christentums zu unterschiedlichen Darstellungen: Nach der Überlieferung in der christlichen Bibel wurde Jesus von den Soldaten des Pilatus gefangengenommen und von Pilatus zum Tod durch Kreuzigung verurteilt. Nach seinem Tod wurde er vom Kreuz abgenommen und in einem Felsengrab begraben. Zwei Tage später, also am dritten Tag, ist Jesus dann laut den Schriften der christlichen Bibel von den Toten auferstanden. Etwas später, nach dem christlichen Festkalender 40 Tage später, wurde er in einer Wolke in den Himmel gehoben, ist also „aufgefahren“. Dass Jesus gestorben wäre, kommt in den islamischen Schriften nicht vor.[9] Von einer Himmelfahrt wird aber auch im Koran berichtet, in Sure 4, Verse 257-158:

[4, 157:] und (weil sie) sagten: Wir haben Christus Jesus, den Sohn der Maria und Gesandten Gottes, getötet. Aber sie haben ihn (in Wirklichkeit) nicht getötet und (auch) nicht gekreuzigt. […] [4, 158:] Nein, Gott hat ihn zu sich (in den Himmel) erhoben. Gott ist mächtig und weise.[10]

Mit der Himmelfahrt Jesu ist die letzte Station des Satzes aus dem apostolischen Glaubensbekenntnis erreicht. Erinnern wir uns an dieser Stelle an den Anfang des Artikels und verbinden wir es mit dem eben Gesagten: Jesus ist Teil der Trinität, Jesus ist Gott. Aber, wie gesehen, hat er ebenso auf der Erde gelebt und ist auch, wie ein Mensch, gestorben. Was ist Jesus also? Mensch oder Gott?

Nach christlicher Ansicht ist er beides: Jesus ist ganz Gott und ganz Mensch. Und weil Jesus sowohl ganz Gott, als auch ganz Mensch ist, kann er für die Schuld der Menschen am Kreuz stellvertretend sterben. Jesus von Nazareth ist für Christ*innen also auch deshalb so wichtig und zentral, weil sie glauben, dass er für die Sünden der Menschen gestorben ist. Damit habe er quasi über die tiefe Schlucht zwischen sündlosem Gott und sündigem Menschen eine Brücke gebaut.[11] Allerdings gibt es allein in den verschiedenen christlichen Strömungen und erst recht in den Einzelmeinungen der Gläubigen unterschiedliche Ansichten über Jesus Christus und darüber, wie sein Tod zu deuten sei.

Ich habe aus der Beschäftigung mit der jüdischen und islamischen Sicht auf Jesus gelernt, dass es Punkte gibt, in denen diese drei Religionen nicht vereinbar sind. Zum Beispiel bei der Frage, ob Jesus der Messias ist, oder ob er wirklich am Kreuz gestorben ist oder nicht. Vor allem aber wird mein Glaube daran, dass Jesus Gott ist, vom Judentum und dem Islam nicht geteilt. Diese Abgrenzung wird jedoch von dem Bestreben motiviert, die Einzigartigkeit Gottes zu bewahren. Das ist ein Wert und Ziel, das ich als Christin teile. Deshalb schätze ich meine Schwesterreligionen, auch wenn unsere Wege zur Einzigartigkeit Gottes sich sehr voneinander unterscheiden. Da nicht jede*r einen Blog hat, um seine Meinung zu schreiben, erfährt man, was andere Leute über Jesus denken, am besten, wenn man sie fragt. Also traut euch, sprecht über Religion!

[1] Vgl. Rochus Leonhardt, Grundinformation Dogmatik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Studium der Theologie, 4. durchgesehene Auflage, Göttingen 2009, 16.

[2] Vgl. Leonhardt, Grundinformation Dogmatik, 2009, 220.

[3] Dieser Text folgt der 2017 überarbeiteten Fassung der Übersetzung von Martin Luther. Vgl. die deutsche Bibelgesellschaft, unter: https://www.die-bibel.de/bibeln/online-bibeln/lutherbibel-2017/bibeltext/bibel/text/lesen/ stelle/53/ 200001/209999/, aufgerufen am 04.04.2020.

[4]     Vgl. Leonhardt, Grundinformation Dogmatik, 2009, 224.

[5] Das apostolische Glaubensbekenntnis ist hier zitiert nach der von der „Arbeitsgemeinschaft für liturgische Texte“ 1970 verabschiedeten Fassung, die durch den „Beschluss der Landessynode über die Fassung der Glaubensbekenntnisse zum gottesdienstlichen und unterrichtlichen Gebrauch“ vom 09.04.1972 für die Kirchen im deutschen Sprachraum verbindlich eingeführt wurde. Beschluss und Bekenntnis können nachgelesen werden unter https://www.kirchenrecht.uni-halle.de/Anhalt/Texte/KEL-Anhalt-10-53_ApostGlaubB.pdf, aufgerufen am 28.07.2020.

[6] Die Lutherbibel in der Fassung von 2017, vgl. die deutsche Bibelgesellschaft, unter https://www.die-bibel.de/ bibeln/online-bibeln/lutherbibel-2017/bibeltext/bibel/text/lesen/stelle/52/10001/19999/, aufgerufen am 04.04.2020.

[7] Vgl. Leonhardt, Grundinformation Dogmatik, 2009, 219.

[8] Vgl. Peter Hirschberg, Die Messiasfrage: Jesus zwischen Christen und Juden, unter: https://www.sonntags blatt.de/artikel/weltreligionen/glaube/die-messiasfrage-jesus-zwischen-christen-und-juden, aufgerufen am 06.04.2020.

[9] Vgl. ein Interview der BLiQ-Redaktion mit Dr. Farid Suleiman, einem Post-Doktoranden im Department für Islamisch-Religiöse Studien an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Maria als Prophetin und Jesus als sprechender Säugling? Die islamische Weihnachtsgeschichte, unter: http://www.bliq-journal.de/interview/die-islamische-weihnachtsgeschichte.html, aufgerufen am 29.03.2020.

[10] Rudi Paret, Der Koran, deutsche Übersetzung, Stuttgart 1979. Im Internet zu lesen unter: https://corpuscoranicum.de/index/index/sure/4/vers/157, aufgerufen am 28.06.2020. Dass Jesus nicht gestorben ist, ist eine wichtige theologische Aussage des Korans. Genaueres dazu gibt es in dem Artikel zum Islam nächsten Monat.

[11] Vgl. Peter Hirschberg, Die Messiasfrage: Jesus zwischen Christen und Juden, unter: https://www.sonntags blatt.de/artikel/weltreligionen/glaube/die-messiasfrage-jesus-zwischen-christen-und-juden, aufgerufen am 06.04.2020 und Leonhardt, Grundinformation Dogmatik, 2009, 278 und 284—286.

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