Merle Just, Lehramt ev. Religionslehre, 5. Semester

Narnia – ein christliches Kinderbuch?

Zwei Jungen und zwei Mädchen, erleben in einer Fantasiewelt mit sprechenden Tieren, Hexen, Zwergen, Faunen und vielem mehr unglaubliche Abenteuer. Das ist die Welt von Narnia. Ich bin, wie vermutlich viele andere auch, mit den US-amerikanischen Filmen aus den 2000er Jahren aufgewachsen und habe erst später erfahren, dass diese auf den Büchern von C.S. Lewis basieren.

Für mich waren diese Geschichten in erster Linie schöne Fantasy-Abenteuer in einer wunderbaren Welt, die nichts mit der unseren zu tun hat. Erst als ich älter war, habe ich gewisse Stellen in den Erzählungen entdeckt, die ich bei genauerem Betrachten christlich hätte deuten können. Zuerst dachte ich, das wäre lediglich meine individuelle Interpretation, allerdings fiel mir nach einiger Recherche auf, dass es vielen Menschen ähnlich ging. Besonders das Buch „Der König von Narnia“, das zwar zuerst veröffentlicht wurde, aber nicht der erste Teil der Geschichte ist, trägt viele christliche Symbole und Geschichten in sich. Es stellt sich nun die Frage, warum sollte man die Geschichten überhaupt christlich interpretieren? Doch bevor wir diese Frage klären, werfen wir noch einen kurzen Blick in die Handlung von „Der König von Narnia“.

Die vier Kinder der Familie Pevensie, Peter, Susan, Edmund und Lucy, werden zu ihrer Sicherheit während des Zweiten Weltkriegs auf dem Land untergebracht. Dort gelangen sie durch einen Wandschrank in das Land Narnia. Sie erfahren, dass die böse Hexe Jadis das Land in Eis gehüllt und die Herrschaft über Narnia beansprucht hat. Außerdem erzählt ihnen ein sprechendes Biberpaar zwei Legenden: Der Frühling kommt wieder, wenn der Löwe Aslan – der wahre König Narnias – zurückkehrt. Und: „Wenn Adams Fleisch und Adams Blut wieder in Cair Paravel auf den Thronen ruht, wird alles Übel wieder gut“.[1] Bereits hier könnte schon der Eindruck entstehen, dass diese Geschichte religiös beeinflusst ist, denn schließlich sollen die Retter Narnias „Adams-Kinder“ sein. Aber wir sollten die Handlung noch weiter betrachten.

Als die Kinder zum Treffen mit Aslan aufbrechen, merken sie, dass Edmund verschwunden ist. Nach einigen Ereignissen treffen Peter, Susan und Lucy schließlich auf Aslan und sein Gefolge, die sich auf den Kampf gegen Jadis vorbereiten. Aslan erfährt, dass Edmund von ihr gefangen gehalten wird und befreit ihn, woraufhin die Hexe in das Lager der Bewohner Narnias kommt und die Herausgabe des „Verräters“ Edmund fordert, der mit ihr einen Deal gemacht hatte, dass er seine Geschwister zu ihr bringt. Edmund schämt sich für sein Handeln und nach einem Gespräch mit Jadis unter vier Augen versichert Aslan, das Problem gelöst zu haben, ohne dass Edmund Schaden erleidet.

Ab dieser Stelle in der Geschichte ist mir die Ähnlichkeit zu einem bestimmten christlichen Motiv aufgefallen – das Motiv der Auferstehung. Das nächste Kapitel des Buches erzählt, wie Lucy und Susan dabei zusehen müssen, wie Aslan sich selbst in der darauffolgenden Nacht der bösen Hexe ausliefert. Diese hat aufgrund eines vor langer Zeit gewebten Zaubers die Macht über Verräter. Und weil er weiß, dass dieser Zauber erfüllt werden muss, entschließt Aslan sich dazu, an Edmunds Stelle zu sterben.

Das kommt einem doch schon bekannt vor, oder nicht? In der Passionsgeschichte stirbt auch Jesus für die Sünden der Menschen, obwohl er sie nicht begangen hat. Und wie Jesus nicht sterben wollte, Angst hatte und seine Jünger bat mit ihm zu wachen, bittet Aslan Lucy und Susan, das letzte Stück des Weges zum steinernen Tisch mit ihm zu gehen. Aslan und Jesus werden beide vor ihrem Tod erniedrigt. Denn die Mädchen müssen beobachten, wie Aslan gefesselt und ihm die Mähne abgeschoren wird. Jesus wird dadurch erniedrigt, dass die Römer ihn in einen purpurnen Mantel kleiden und ihm eine Dornenkrone aufsetzen[2]. Beide, sowohl Jesus als auch Aslan, sterben schließlich. Und während Jesus in ein Grab gebracht wird, dass mit einem großen Stein versiegelt wird, bleibt Aslan auf dem steinernen Tisch liegen.

Wir sehen, die Geschichte bietet bis hier hin schon einige Parallelen zur Passionsgeschichte, die schon eine gewisse Bibelkenntnis voraussetzen. Der nächste Abschnitt beinhaltet nun das Hauptthema der Auferstehung und ist möglichweise noch einfacher nachzuvollziehen. Denn nun wachen die zwei Mädchen bei dem toten Aslan bis zum Morgengrauen und als sie gerade aufbrechen, um ins Lager zu gehen, hören sie ein lautes Donnern. Als sie sich umdrehen ist der Leichnam des Löwen verschwunden und der Tisch zerbrochen. Auch in der Bibel wird die große Steinmasse vor dem Grab Jesu auf einmal bewegt und als Maria und Maria Magdalena dorthin gehen, ist der Leichnam weg. Ebenso wie Jesus aufersteht und sich den Frauen zeigt, so erscheint auch Aslan plötzlich hinter dem Tisch. Er ist am Leben und auf die Fragen der Kinder, wie das sein kann, antwortet er, dass die Hexe Jadis zwar den alten Zauber kannte, aber nicht wusste, dass es noch einen tieferen Zauber gab. Hätte sie diesen gekannt, „[…] dann hätte sie gewusst, dass an dem Tag, an dem ein freiwilliges Opfer, das keinen Verrat begangen hat, an eines Verräters statt getötet wird, der Tisch zerbricht und der Tod selbst sich umzukehren beginnt.“[3] Dies ist der biblischen Deutung von Jesu Tod sehr nahe.[4] Aslan ist das freiwillige Opfer, das keine schlechte Tat begangen hat. Jesus war frei von Sünde und hat akzeptiert, dass er sterben muss. Wie Aslan stirbt Jesus für die Taten von jemand anderem und bezwingt so den Tod.

Ich finde, dass die Auferstehungsgeschichte Jesu und die Erzählung von Aslan sehr viele Gemeinsamkeiten haben. Und wenn man will, kann man in diesem Buch, und auch in allen anderen Teilen der Narnia-Reihe, viele weitere Hinweise auf christliche Elemente finden. Doch um auf unsere Anfangsfrage zurückzukommen, warum sollte man diese Geschichte überhaupt so lesen? Nun, meiner Meinung nach, und bestätigt durch meine eigene Erfahrung, hilft diese Geschichte dabei, christliche Elemente – hier im Besonderen das der Auferstehung – für Kinder verständlicher zu machen. Dieses doch komplexe Thema wird kindgerecht verpackt und in eine fantastische Geschichte eingebettet, die es Kindern ermöglicht Parallelen zwischen der Erzählung der Abenteuer der Pevensie-Geschwister und der Passionsgeschichte zu ziehen. Dies hilft ihnen dabei, letztere leichter nachvollziehen zu können.

Auf welche Art man dieses Buch lesen will, ist jeder und jedem selbst überlassen. Interessant ist nämlich auch, dass sich in C.S. Lewis‘ Biographie ein Zitat finden lässt, welches besagt, er habe die Bücher nicht in der Absicht geschrieben, christliche Werte und Erzählungen zu vermitteln.[5] Und doch ist eine christliche Interpretation eine Möglichkeit, mit diesem Text umzugehen.

Am besten, ihr probiert es selbst aus und lest die Geschichte selber, schließlich ist ja auch noch offen, ob Aslan und die vier Pevensies Jadis besiegen können!

[1] Lewis, C.S.: Die Chroniken von Narnia. Der König von Narnia, Wien 2005, S. 66.

[2] Ein purpurner Mantel und eine Krone sind Gegenstände, die einen königlichen Stand ausweisen. Aus den vier Evangelien wissen wir, dass sich ein Schild an Jesu Kreuz befindet, dass ihn als den König der Juden ausweist. Deshalb hängen die Soldaten Jesus einen Mantel um und setzten ihm eine schmerzhafte Dornenkrone auf, um ihn zu verspotten und zu demütigen.

[3] Lewis, C.S.: Die Chroniken von Narnia. Der König von Narnia, Wien 2005, S. 125.

[4] 1. Petrus 1,19.

[5] Lewis, W.H.: C. S. Lewis. A Biography, Wheaton College, S. 16. Zitiert in: Garmaz; Komljenovic: Jesus in Narnia. S. 49 f.