



Unheilige Geschwister: Sollten Satanismus und Christentum das Gespräch suchen?
Wie uns ein grundlegendes Dialogproblem ein solches Gespräch erschwert
[Ein Gastbeitrag von Daniel Sander (stud. theol.)]
Spätestens seit einer regelrechten „Okkultismus-Hysterie“, die ihren Höhepunkt in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts in den westlichen Industrienationen erreichte, ist das Phänomen des „Satanismus“ in weiten Teilen der europäischen und amerikanischen Bevölkerung ein Begriff geworden. Die damals häufig anzutreffende Beurteilung dieser religiösen „Neuerscheinung“ als eine reale gesellschaftliche oder sogar „metaphysische“ Gefahr, die sich in zum Teil geradezu verleumderisch formulierten Streitschriften niederschlug,[1] ist mittlerweile passé. Die Zeiten platter Polemik, in denen Satanismus noch als bösartige, aber nicht weiter ernst zu nehmende[2] „Wucherung“ auf dem Boden des Christentums betrachtet wurde und Satanist*innen als pubertäre Provokateur*innen verspottet wurden, sind vorbei.[3] Satanismus hat sich eben nicht als vorübergehendes „Modephänomen“ herausgestellt, sondern ist zu einer zwar stillen und nicht sonderlich anhängerstarken, aber doch etablierten Gruppe von Weltanschauungen geworden.
Man könnte also meinen, dass einem interreligiösen Austausch zwischen satanistischen Philosophien und der christlichen Theologie im Sinne eines offenen und pluralen Miteinanders der Weltanschauungen in unserer Gesellschaft heute nichts mehr im Weg stünde. Tatsächlich wäre ein solcher Dialog auch mehr als wünschenswert, wenn nicht gar überfällig. Immerhin besteht zwischen Satanismus und Christentum ein nicht zu leugnender ideengeschichtlicher Zusammenhang, der in der Figur des Satans[4] kulminiert. Diese Verbindung gilt es auch von christlicher Seite aus durch eine Begegnung auf Augenhöhe zu würdigen.
Ein solcher Dialog würde jedoch in der aktuellen Situation höchst wahrscheinlich an einer Spirale von Missverständnissen und Unklarheiten zwischen beiden Lagern zugrunde gehen – einer Situation, für die auch die akademische Theologie eine gewisse Verantwortung trägt. Welche Schwierigkeiten sind für ein Gespräch auf Augenhöhe zwischen Satanismus und Christentum also zu meistern?
Eine erste Hürde für einen Dialog zwischen Satanismus und Christentum besteht bereits in der Wahl von Vertreter*innen beider Parteien. Für das Christentum, namentlich die Kirchen, wäre dies sicherlich noch die einfachere Aufgabe – aufseiten „des“ Satanismus als genuin anarchischem und „zersplitterten“ Phänomen kann eine Auswahl von Sprecher*innen jedoch nie als repräsentativ für eine größere Gruppe gelten. Interreligiöser Austausch kann hier somit nur begrenzt und partikular vorangetrieben werden.
Als noch schwieriger als diese Frage nach dem Wer des Dialogs stellt sich aber die Frage nach dem Was heraus. Zwar besteht zwischen Satanismus und Christentum durchaus eine ideengeschichtliche Verbindung in Gestalt des Satans, aus der man schließen könnte, dass sich beide Sichtweisen eine zumindest einigermaßen einheitliche Gesprächsgrundlage teilen. Es zeigen sich jedoch bereits bei einem oberflächlichen Vergleich der Wahrnehmungen dieser Figur in den beiden Lagern fundamentale Bedeutungsverschiebungen. Das Hindernis für einen Dialog zwischen Satanismus und christlicher Theologie offenbart sich daher als ein tiefgreifendes Sprachproblem.[5]
Ein Beispiel soll dies illustrieren. Greifen wir aus der paradoxen Vielfältigkeit satanistischer Teufelsvorstellungen eine relativ populäre Charakterisierung des Satanischen heraus, wie sie etwa der berühmte Black-Metal-Musiker „Ghaal“ in einem Interview darlegt:
„When I use the word Satan, it means the natural order, the will of a man, the will to grow, the will to become the superman and not to be oppressed by any law […].“[6]
Allein die Verknüpfung des Satanischen mit der Sphäre des „Natürlichen“, dem Wachstum und der Entfaltung ist etwas, das der christlichen Vorstellung vom Teufel fremd ist. Dort wird der Satan geradezu mit dem Gegenteil assoziiert: der Zerstörung und dem Gefangensein, da nur Gott allein „wahre Freiheit“[7] schenken könne. In Anlehnung an den Philosophen Ludwig Wittgenstein und seine Theorie der „Sprachspiele“ könnte man also sagen, dass das ursprünglich christliche Sprachspiel vom Teufel in den satanistischen Strömungen zwar aufgegriffen wird, die „Spielregeln“ jedoch so gravierend verändert werden,[8] dass ein „Zusammenspielen“ beider Seiten notwendigerweise zu Verwirrung und Unklarheiten führen muss.[9] Aber genau hier gäbe es wohl auch die Möglichkeit für eine erste, „tastende“ Annäherung. Es ließe sich zum Beispiel über diese verschiedenen „Sprachspielregeln“ und ihre Hintergründe und Logiken ins Gespräch kommen und so eine Begegnung auf inhaltlicher Ebene vorbereiten.
Gerade diese inhaltliche Ebene ist es nun, die sich in Bezug auf das Christentum als blinder Fleck erweist. Dieser noch viel zentralere Aspekt des Sprachproblems zwischen Satanismus und Christentum ist auf ein Versäumnis der akademischen Theologie der letzten 200 Jahre zurückzuführen. Satanist*innen haben notwendigerweise meist recht präzise Vorstellungen von dem, was sie unter Satan bzw. dem Teufel verstehen – dies gilt jedoch nicht (mehr) für das Christentum. Vielmehr wurde der Problemkreis, der sich an diese Figur knüpft, seit Aufkommen der Aufklärung im 18. Jahrhundert von den meisten, die als „seriöse“ Theolog*innen gelten wollten, zunehmend widerwillig bearbeitet und schließlich weitestgehend vermieden.
Bei Friedrich Schleiermacher etwa, dem „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“, wird der Satan in seinem Hauptwerk „Der christliche Glaube“ in einem knappen Kapitel äußerst rasch abgehandelt und schließlich aufgrund der logischen Unvereinbarkeit mit einigen zentralen Punkten seiner Gotteslehre zu einer Art „optionalem Glaubensinhalt“ erklärt.[10] Eine ähnliche Tendenz lässt sich für die gesamte jüngere Theologiegeschichte feststellen. Nirgendwo werden Bemühungen um ein adäquates, zeitgenössisches Teufelsverständnis in Angriff genommen oder gar eine eigene „Teufelstheologie“ ausgearbeitet.[11] Somit hat sich das Christentum seines eigenen Anknüpfungspunktes für einen interreligiösen Dialog mit satanistischen Philosophien nahezu entledigt
Diesem Trend ein Ende zu setzen, halte ich für ein dringend notwendiges Bestreben der akademischen Theologie aller Konfessionen in den kommenden Jahren. Vielleicht wäre ein solches Unterfangen allen Widrigkeiten zum Trotz ja gerade auch in kontrastierender „Zusammenarbeit“ mit den elaborierten Teufelsvorstellungen vieler satanistischer Strömungen möglich.
Ich plädiere daher entschieden dafür, dass das Christentum in Bezug auf seine eigene Teufelstradition, derer es in den letzten Jahrhunderten mehr und mehr verlustig gegangen ist, durchaus viel von Satanist*innen lernen könnte. Diese dürfen, pointiert formuliert, wohl als die „neuen Expert*innen“ auf dem Gebiet des Satanischen gelten. Satanismus und Christentum haben sich also etwas zu sagen und es wird Zeit, dass dem auch in umfassenderer Weise Rechnung getragen wird. Denn mit einem solchen Austausch verknüpfte Themen wie „Freiheit“, „Entfaltung“, „Gesetzlichkeit“, „Selbstverwirklichung“ und auch „das Böse“ gehen uns alle an.
[1] Als ein aus heutiger Sicht fast schon amüsantes Beispiel vgl. Ulrich Bäumer: Wir wollen nur deine Seele. Hardrock: Daten, Fakten, Hintergründe. Bielefeld 1985². Dort wird die „Gefahr“ des Satanismus auf christlich-propagandistische Weise v.a. mit der Popularität der damals aufstrebenden Metal- und Hardrockszene verknüpft.
[2] Das ist die andere Seite der damaligen Bewertung „des“ Satanismus; Furcht, Verleumdung und Preisgabe der Lächerlichkeit gehen oft zeitgleich nebeneinanderher.
[3] Dennoch finden solcherlei Positionen vornehmlich im popkulturellen Sektor auch heute noch ihren Nachhall, vgl. etwa das humoristisch gemeinte Schmählied „Mitleid mit Satan“ des Kabarettisten Sebastian Krämer: https://www.youtube.com/watch?v=rnHfxRQwq2Q (ab ca. Min. 2:00; zuletzt aufgerufen am 19.05.2021).
[4] Die Begriffe „Satan“ und „Teufel“ werden in diesem Artikel synonym verwendet, obwohl dies kulturgeschichtlich einen gravierenden Unterschied ausmacht. Diese Problematik kann hier jedoch nicht weiterverfolgt werden.
[5] Hinzu kommt dabei noch die Schwierigkeit, dass manche satanistischen Strömungen sich selbst als genuin atheistisch verstehen – in solchen Fällen also von einem inter-religiösen Austausch gar nicht die Rede sein kann. Der vermeintliche Dialog droht dann apologetische Formen anzunehmen. Die Herausforderungen des produktiven Umgangs mit atheistischer Religionskritik im interreligiösen Austausch kann hier jedoch nicht vertieft werden.
[6] https://web.archive.org/web/20160303214650/http://www.tartareandesire.com/interviews/gorgoroth.html (zuletzt aufgerufen am 19.05.2021).
[7] Auch die Problematik dieses Ausdrucks muss hier unangetastet bleiben.
[8] Interessant und vermutlich auch für einen interreligiösen Dialog fruchtbar wäre es, die historische Entwicklung dieser „Regeländerungen“ nachzuvollziehen, die maßgeblich in der Umwertung des Teufels vom absolut Bösen zu einer tragischen, wenn nicht gar prometheisch-geniehaften Figur besteht – einer Entwicklung, die in etwa mit dem Erscheinen von John Miltons „Paradise Lost“ einsetzt und ihren Höhepunkt in der Kunstepoche der (Schwarzen) Romantik erreicht haben dürfte.
Für einen knappen Überblick zur Pluralität der Teufelsbilder vgl. Constance Timm: Der Teufel. Ein Streifzug ins Reich des Bösen. In: Miriam Blümel / Elisabeth Klabunde / Constance Timm (Hg.): Magier, Teufel, Finsternis. Eine mythische Reise in die Nacht. Leipzig 2015, S. 57–72.
[9] Zur Relevanz Wittgensteins und seiner Sprachspieltheorie für die christliche Theologie vgl. Fergus Kerr: Theology after Wittgenstein. Oxford 1997².
[10] Vgl. Friedrich Schleiermacher: Der christliche Glaube. 2. Auflage (1830/31). Hg. von Rolf Schäfer. Berlin 2008, S. 254f.
[11] Zwar existiert eine materialreiche Studie des katholischen Theologen Herbert Haag, die sich der Figur des Teufels widmet (Herbert Haag: Teufelsglaube. Tübingen 1980²). – Jedoch kommt Haag genau zum gegenteiligen Ergebnis, als ich es hier tue. Er plädiert in der christlichen Theologie für einen „Abschied vom Teufel“. So betitelte er auch die Überlegungen, die seiner Studie zum Teufelsglauben vorausgingen.
Auch der ehemalige Heidelberger Neutestamentler Klaus Berger legte um die Jahrtausendwende ein kleines Büchlein vor, in dem er sich mit dem Teufel beschäftigt (Klaus Berger: Wozu ist der Teufel da? Gütersloh 2001). Zwar sieht Berger die Notwendigkeit einer umfassenden, zeitgenössischen Teufelstheologie, bleibt mit seinen Ausführungen, die sich besonders nahe am biblischen Text orientieren und daher eher die Form einer „Nacherzählung“ biblischer Episoden annehmen, jedoch weit hinter diesem Anspruch zurück.